Lollies nur für Schweizer!

Da steht er, der Vierjährige. Mit 70 Rappen in der kleinen Hand. Brav hat er sich eingereiht in die Warteschlange vor dem Badikiosk, um einen Lolli zu kaufen. So wie nach jedem montäglichen Schwimmkurs. Nur dass die Badi an diesem spätsommerlichen, von der Sonne verwöhnten Montag proppenvoll und die Schlange fünfmal so lang wie üblich ist. Mami ist dafür fünfmal so stolz wie üblich, weil der Sohnemann sich trotz des Trubels selbstbewusst zwischen all den anderen Badegästen einreiht. Aus sicherer Entfernung beobachtet sie das Geschehen gelassen von hinter der Eistruhe.

In der Warteschlange ist es schnell vorbei mit der Gelassenheit. Der vor dem Vierjährigen wartende Mann (mit Kleinkind!) dreht sich mehrfach hektisch zu ihm um. Irgendwann entfährt es ihm: «Zu wem gehört er?», fragt er die hinter dem Vierjährigen wartende ältere Dame. Sie zuckt nur mit den Schultern.

Die Schlange bewegt sich. Der Vierjährige schliesst nicht schnell genug zum Vordermann auf, weil er lieber die knallbunte Auslage des Kiosk bestaunt. Oder die Badebekleidung der Anwesenden. Oder Beides. Ganz hinten wird die Warteschlange derweil immer länger.

Nun wird auch die ältere Damen nervös. «Rutscht doch bitte näher an Deinen Vordermann ran!» bedeutet sie dem Vierjährigen auf Schweizerdeutsch. Er reagiert nicht. Die Produkte von Hans Riegel aus Bonn direkt vor seiner Nasenspitze sind grade um ein Vielfaches spannender. Sie versucht es noch einmal. Wieder keine Reaktion. Und noch einmal. Nichts. Der kleine Mann ignoriert sie weiter und schenkt seine volle Aufmerksamkeit lieber den Süsswaren. Die Kluft zwischen ihm und dem nun Hot Dog ordernden Vordermann ist inzwischen so gross geworden wie der Grand Canyon. Jedenfalls wenn man dem entsetzten Blick der Dame Glauben schenkt.

Jetzt reicht es offenbar auch der Verkäuferin. Mit kritischem Blick beugt sie sich über den Tresen und inspiziert die Situation, während der Vordermann die Kartenzahlung für die warmen Würstchen veranlasst. Dem Vierjährigen ist alles im wahrsten Sinne des Wortes Wurst. Die Dame hinter ihm macht ihrem Unmut Luft: „Was ist denn da los?“, will sie lautstark von der Verkäuferin wissen. Der kleine Mann guckt verwirrt und vergisst auf die Frage, was er denn wolle, seine Bestellung zu formulieren, sondern wirft wortlos die 70 Rappen auf den Tresen.

Die Situation droht zu eskalieren, da hilft auch das beständige, dämpfende Summen der Eistruhe nicht mehr. Mami outet sich und bittet den Vierjährigen, nach vorne an die Kasse zu treten und ordnungsgemäss seine Bestellung abzugeben. Die wartende Dame ruft unüberhörbar: «Ach, Sie sind Düütschi?»

Äh, ja? Wie meinen? Lollies nur für Schweizer? Wieso haben Sie Ihrem Kind nicht ordnungsgemäss das Vorbeidrängeln gelernt, so wie es gute Deutsche tun? Was soll diese hyperliberale Laisser-faire-Erziehung? Der Dreikäsehoch ist rechtlich noch nicht mal geschäftsfähig und hält ihr den ganzen Laden auf! Wieso erziehen Sie Ihr Kind nicht zuckerfrei, das kriegt doch später gegen alles Allergien!

In dieser einen Frage liegt die ganze Welt. Mami ist so verwirrt, dass sie das Rückfragen unterlässt. Fataler Weise. Stattdessen schnappt sie dem Vierjährigen den frisch ausgehändigten Lolli weg, zieht ihn wenig sanft zum Ausgang und ergreift mit ihm die Flucht. Er heult. Zurecht. Irgendwie schief(gelaufen).